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Stephanie Cavalli im Porträt

„Es ist sehr poetisch“, verkündet Stephanie Cavalli mit einem warmen Lächeln. Im Detail beschreibt sie mir die Highlights ihrer vergangenen Vintage-Käufe via Video-Call aus New York, ihrem Wohnort und der Heimat ihres winzigen Antik-Shops La Garçonne. „Ich finde es bezaubernd, all diese wundervollen Schätze zu finden, welche häufig nicht in bester Verfassung sind. Ich sorge mich um sie und übergebe sie anschließend an jemand anderen. Ich sehe mich selbst als eine Art Portal. Ein märchenhaftes Kleid wurde in den 1920er-Jahren kreiert und wie durch ein Wunder war ich der Ankunftsort. Ich leite es dann weiter auf dem Pfad zu seinem*seiner rechtmäßigen Besitzer*in, der Person, die es kaufen wird.“ Aber es sind nicht nur die sentimentalen Aspekte. Auch die erheblichen Auswirkungen von Fast Fashion auf unsere Umwelt sind ein großer Faktor in Stephanies Kampf für eine nachhaltigere und stylischere Zukunft. „Wenn wir uns umsehen, wird deutlich, dass bereits so viel Kleidung existiert und gar nicht mehr in diesem Maße produziert werden muss. Fast alles kann recycelt und neu kontextualisiert werden. “

Als Model zierte Stephanie Cavalli bereits die Kampagnen von L’Oréal und war in Ausgaben der Marie Claire abgelichtet. So erlebte sie hautnah, wie die Modewelt in den letzten Jahren einen Wandel durchmachte und sich unser Begriff von Schönheit zunehmend ausweitet. Für Stephanie stellte besonders die Transformation vom jüngeren zum älteren Fotomodel eine Schwierigkeit dar. In einer ohnehin schon urteilenden Industrie fingen Leute plötzlich an, ihre grauen Härchen zu bemerken. Mit der Zeit nahm dies Auswirkungen auf Stephanies Selbstwertgefühl. Nach einer langen und erfolgreichen Karriere entschloss sie sich deshalb, eine vorübergehende Pause vom Modelbusiness einzulegen und sich stattdessen in alternativen Bereichen auszuprobieren. Heute ist sie an erster Stelle stolze Besitzerin ihres eigenen Vintage-Ladens und nutzt vergangene Erfahrungen zu ihrem Vorteil. Kenntnisse aus der früheren Zusammenarbeit mit Stylisten*Stylistinnen helfen ihr nun dabei, den Geschmack ihrer Kunden*Kundinnen gewandt zu verstehen.

Dabei kam ihr der Gedanke eines eigenen Unternehmens lediglich vor wenigen Jahren. Solange sich die gebürtige Italienerin erinnern kann, war sie begeistert von Filmen und Fotos aus weit vor ihrer Zeit. Doch erst Jahrzehnte später folgte ein Erlebnis, welches Stephanies Leben ändern sollte. Bei einem Flohmarktbesuch in Paris fiel ihr das unvergleichlich gekleidete Besitzerpaar eines Verkaufsstandes ins Auge. Von Kopf bis Fuß glichen sie Gestalten einer fremden Periode. Mit großer Admiration beschreibt sie mir die Erinnerung als das sagenhafte Gefühl, in eine Zeitmaschine getreten zu sein. Leidenschaftlich durchstöberte sie damals das Sortiment, welches mit unglaublichen Stücken gefüllt war, die teilweise bis ins späte 18. Jahrhundert zurückreichten. Schlagartig wurde ihr vor Augen geführt, dass es vollauf im Bereich des Möglichen ist, ihre Liebe für Vintage in eine Karriere zu verwandeln. „Ich wusste, das war genau das, was ich machen wollte, und es ist, was ich seitdem versuche zu tun.“

Zu sagen, dass Stephanie Cavalli für ihr Business brennt, wäre eine reine Untertreibung. Das Model übernimmt jede noch so kleine Aufgabe höchstpersönlich. Einzig die Erschwerung von internationaler Reise in den letzten zwei Jahren stellte eine Ausnahme dar. Als es hart auf hart kam, kontaktierte die Unternehmerin ihre weltweit stationierten Freunde und Freundinnen, reichend von Mailand bis Indien. Sie unterstützten Cavalli mit der Zusendung von antiken Fundstücken. So hatten Besucher*innen der intimen Boutique trotz Pandemie die Möglichkeit, bezaubernde italienische Baumwollkleider der 1920er-Jahre zu durchstöbern. Andernfalls ist La Garçonne eine regelrechte One-Woman-Show. Egal ob der Verkauf vor Ort, die Betreuung des zugehörigen Etsy Shops LaGarconneBoutique oder der Färbeprozess von pflegebedürftigen Stücken. Keine Angelegenheit ist zu aufreibend für die Vintage-Liebhaberin.

Ganz nebenbei ist Cavalli außerdem wieder bei der New Yorker Modelagentur IconicFocus unter Vertrag, auch wenn sie dem Beruf heutzutage eine andere Bedeutsamkeit gibt. „Auf eine Weise ist Modeln für mich jetzt sogar noch wichtiger geworden, als es früher einmal war, denn durch das viele Reisen finde ich all diese unglaublichen Kleidungsstücke an fernen Orten. Es ermöglicht mir also karrieretechnisch dem nachzugehen, was ich wirklich machen möchte.“

Faire Preise sind Stephanie dabei besonders wichtig, denn ihr Sortiment bedient sowohl Kunden*Kundinnen aus der Großstadt als auch Einheimische. La Garçonne befindet sich in Callicoon, einer kleinen Stadt etwas abseits von New York. „In den vergangenen Jahren haben die Anwohner*innen die Stadt in einem drastischen Wandel miterlebt und sie sind natürlich nicht glücklich darüber. Auf eine Art werden sie aus ihrer eigenen Stadt herausgeschmissen. Ich glaube eine Sache, die ich persönlich tun kann, damit sich Einheimische miteinbezogen fühlen ist es meine Preise zugänglich für sie zu machen.“

Was die Zukunft von Vintage und Nachhaltigkeit angeht, ist Stephanie hoffnungsvoll.

„Vielleicht wird der Hype um Vintage etwas zurückgehen, aber ich glaube, die Notwendigkeit bleibt bestehen. Es macht auf mich den Eindruck, als würden sich die jüngeren Generationen mehr für Nachhaltigkeit interessieren, weil sie in gewisser Weise reingeboren wurden. Die Jugend ist sich definitiv sehr über die Folgen von Fast Fashion auf unsere Umwelt bewusst und ich glaube, das ist ein großer Faktor für die Zukunft von Secondhand.“

Um die Qualität von antiken Kleidungsstücken aufrechtzuerhalten, hat Stephanie übrigens noch ein paar Tricks parat. Sollte ein Textil lediglich einen muffigen Geruch besitzen, empfiehlt die „Vintage-Expertin“ billigen Wodka in einer Frühflasche. Der Alkohol neutralisiert die unangenehmen Duftstoffe. Bei Flecken lässt man den Stoff am besten lange in Wasser einweichen und lässt ihn anschließend an der frischen Luft trocknen. Und sollte all dies nichts bringen, gibt es ja immer noch die Möglichkeit, ein altes Kleidungsstück zu färben und zu etwas komplett Neuem zu machen.

Stephanies Top 3 Vintage-Staples:

  1. „Ein simples, weißes Männerhemd funktioniert mit allem! Wenn es ein sehr langes ist, kann man es im Sommer sogar zu Shorts oder als Kleid tragen.“
  2. „Eine antike High-Waist Männerhose! Das ist eine Leidenschaft von mir. Sie schmeichelt jedem Körper und der hohe Hosenbund lässt die Beine sehr lang und elegant wirken. Außerdem passt sie ganz fantastisch zu einem weißen Hemd.“
  3. „Abschließend noch ein schöner, gut geschnittener Mantel. Die gehen niemals aus der Mode! Persönlich bevorzuge ich lange Ärmel. Dreiviertel-Ärmel sehen ebenfalls bezaubernd aus, aber meiner Meinung nach verwerfen sie den eigentlichen Sinn eines Mantels. In New York können die Winter fürchterlich kalt werden und man müsste seine Arme zusätzlich mit langen Handschuhen abdecken.“

Autorin: Valentina Marie Semler