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Eine neue Realität (Feature)

Manchmal beeindrucke ich mich ja wirklich selbst. 2021. Ein Jahr zum Lernen, zum Weiterbilden, zum Evolvieren. Zugegeben. Vielleicht entsprachen die rund 150 Stunden an Reality-TV nicht meiner Idealvorstellung für die Entwicklung meines neuen, verbesserten Ichs. Doch wenn mir der Lockdown eines bewiesen hat, dann ist es meine Willensstärke, sinnlose Aktivitäten zu Ende zu bringen. Und wenn es sich hierbei um eine Serie über grundlos aneinandergeratene Millionärinnen handelt, dann soll es so sein. So kämpfte ich mich also durch jeden ach so albernen Streit, bis die Ziellinie erreicht war. In Form einer recht ernüchternden Reunion-Folge von „The Real Housewives of Beverly Hills“ via Zoom. Dem abschließenden Zeitpunkt der Staffel, zu dem sich der Cast den angriffslustigen Fragen von Show-Host Andy Cohen stellen muss. Normalerweise ein heiliges Sprungbrett zu eskalierenden Auseinandersetzungen und unterhaltsamen Handgreiflichkeiten. Doch von fliegenden Gläsern und ausgedruckten Screenshots keine Spur. Nun sitze ich hier. Leer. Vor einem schwarzen Bildschirm. Gezwungen, die endlose Ewigkeit zu überbrücken, um herauszufinden, was es wirklich mit den Betrugsanschuldigungen um Erika und Tom Girardi auf sich hat.

Was ich letzte Woche gemacht habe? Da bin ich mir nicht sicher. Dieser Teil meines Gehirns ist indessen besetzt. Mit einer winzigen Akte über jeden noch so minimalen Konflikt der Housewives. Wen interessieren schon aktuelle Weltgeschehnisse, wenn ich stattdessen jedem „RHOBH“-Meme seinen zugehörigen Kontext zuordnen kann? Dieses Gefühl im Dämmern der Nacht durch Instagram zu scrollen und ein Artefakt der ersten Staffel zu finden. Unübertrefflich. Als sei man eingeweiht in einen Insiderwitz mit knapp zwei Millionen weiteren Leuten. Vielleicht eine eher beschämende Realisierung, aber in Zeiten von sozialer Isolierung erfreut man sich doch an jedem bisschen gesellschaftlicher Bestätigung, nicht wahr? Dieses heilige Gefühl von Zugehörigkeit. Und oh, was uns „The Real Housewives of Beverly Hills“ seit 2010 an Meme-Material liefert, ist nicht von schlechten Eltern.

Und so schaue ich sechs realitätsfernen Frauen dabei zu, wie sie ihren Dubai-Mädelstrip in einer Suite für je $35.000 die Nacht verbringen. Der Frust ergreift Besitz von mir. Wie kann man nur so viel Geld und zugleich so wenig Style haben? Mal ehrlich. Hätte Teddi Mellencamp den hart erarbeiteten Gewinn ihres betrügerischen „Fitness“-Programmes nicht in einen Stylisten oder eine Stylistin investieren können? Die $39,90 täglich, um per SMS darüber aufgeklärt zu werden, dass ein Stück Karotte die Kalorienanzahl überschreite, hätten so zumindest einen Nutzen im Geldbeutel eines oder einer Anderen gefunden. Doch genug von großen Konten und schwachen Outfits. Denn trotzdem fiebere ich mit Beverly Hills Elite mit und nehme dankend in Kenntnis, dass der Hauptteil ihres Reichtums auf Betrug und der Ausnutzung von Anderen basiert. Aber tief im Inneren sind sie doch auch nur Menschen, nicht wahr? Zugegeben, solche mit anderen Problemen und Standards, aber dennoch Menschen.

Kein Wunder also, wie einfach es mir fällt, eine komplett einseitige Beziehung zu Fernseh-Personas aufzubauen, wie sie abgelegener nicht sein könnten. Natürlich ist sich Lisa Vanderpump nicht im Entferntesten von meiner Existenz bewusst. Daran gehindert, sie zu Puppy-Gate-Zeiten bis aufs Letzte zu verteidigen, hat es mich trotzdem nicht. Kindisch hin oder her. Die Manipulations-Behauptungen einer gewissen Lisa Rinna fühlten sich zum Teil wie ein persönlicher Angriff auf mein Ego an. Na gut. Vielleicht bin ich etwas voreingenommen, aber meine sozialen Interaktionen haben unter Corona nun mal ein wenig gelitten. Sich auf fremde Personen zu fokussieren als seien sie basiert auf jahrelanger Freundschaft, scheint auf mich da nur natürlich. Und diese gehören finanziell unterstützt! Zu sagen, ich hätte nach ihrem Serienaustritt nicht versucht eine Flasche des famosen „Vanderpump Rosé“-Weines zu ergattern, wäre eine glatte Lüge.

Und nun reflektiere ich zurück auf den Nutzen meiner kostbaren Zeit. Zur Hälfte beschämt über meine emotionale Investition in die höchst inszenierten Leben etlicher Multimillionäre und Multimillionärinnen. Die anderen 50 % gepackt mit Vorfreude auf die neue Staffel. Denn eines muss ich schweren Herzens zugeben. Ich liebe nun mal Drama. Wortgefechte, fliegende Gläser, der ein oder andere Schlag ins Gesicht. Nach einem langen Tag könnte ich mir wahrhaftig keine bessere Entspannung vorstellen, als fremden Menschen beim Streiten zuzugucken. Und wenn ich schon die Wahl habe, dann fällt diese eben schonungslos auf die glamouröse High-End-Version mit ihren Villen in Millionenhöhe und einer exzessiven Designer-Garderobe.