← Back

Dieter Rohmann über Kulte (Kurzinterview)

Dieter Rohmann ist deutscher Diplom-Psychologe und spezialisiert seine Arbeit auf den Umgang mit Menschen, die während bzw. nach dem Ausstieg ihre einstige Mitgliedschaft verstehen und verarbeiten möchten. Infolge seiner eigenen Erfahrung mit den „Kindern Gottes“ im Jahre 1979 war er Anfang der 1980er Jahre am Aufbau eines Kultaussteiger-Projekts in Goa/Indien beteiligt. Darüber hinaus ist Rohmann für die Konstruktion psychotherapeutischer Konzepte, sowie dem Entwickeln von spezifischen Seminaren verantwortlich.

Was veranlasst einen Menschen dazu, seinen Kult wieder zu verlassen?

Es gibt wohl kein Kultmitglied, dass nicht von Zeit zu Zeit an Zweifel an dem hat, was es glaubt und tut für die Gemeinschaft. Der Grund, warum ich und auch andere so welche geschlossenen Systeme wie Sekten und Kulte wieder verlassen, ist für fast alle identisch. Die Kluft zwischen dem, was vom Kultführer behauptet wird und dem, was tatsächlich Kultalltag darstellt, also was gelebt wird. Diese Kluft wird im Laufe der Zeit immer größer. Irgendwann lässt sich das, was man beobachtet, mit dem, was man erzählt bekommt, nicht mehr wirklich vereinbaren. Die meisten dieser Gemeinschaften züchten jedoch eine Art Ausstiegsphobie. Und diese Ausstiegsphobie trägt tatsächlich dazu bei, dass vorhandene Zweifel so lange wie möglich unter der Oberfläche gehalten werden. Es genügt deshalb nicht nur ein kritisches Ereignis im Laufe eines Kults und dann kann man gehen. Es ist tatsächlich dieses Fass, dass sich auffüllt mit Beobachtungen und Widersprüchen und irgendwann kommt dann der Tropfen, der das Fass dann zum Überlaufen bringt. Bei den meisten Menschen führt dies dann zu einem Ausstieg.

Wie können Angehörige helfen?

Den Tipp, den ich Angehörigen immer gebe, ist, dass sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf den Guru oder die Ideologie des jeweiligen Kults setzen, sondern immer die Person im Fokus haben. Kulte brauchen Menschen, die in bestimmten Situationen geschwächt sind. Damit sind sie leicht lenkbar und manipulierbar. Was wir brauchen ist ein gestärktes Kultmitglied, also jemand der den Versprechungen und den Glaubensmustern eines Kults widerstehen kann. Angehörige sollten alles tun, was sie können, um dazu beizutragen, das vermeintliche Kultmitglied in seiner Persönlichkeit stärker zu machen und nicht durch zusätzliche Kritik noch weiter zu schwächen.

Gibt es Warnzeichen, um uns vor Kulten zu schützen?

Eine Formulierung, die ich für sehr interessant halte, ist „Love it. Change it. Believe it.“ Wenn ein Mensch sich innerhalb eines Kultes befindet und er entdeckt Missstände oder Widersprüche, dann sollte er einfach mal versuchen dies zu verändern. Also Verbesserungsvorschläge bringen. Genau dieser Punkt „Change it.“ funktioniert in keinem einzigen Kult, den wir heute kennen. Entweder bist du dabei, Teil des Ganzen oder du bist draußen. Es fehlt also genau diese Mitte, die es in unserem Leben sehr wohl gibt, indem ich Wählen gehe oder meine Meinung mitteile. Trägt die Ideologie dieser Gemeinschaft dazu bei, dass ich mich sicherer, wohler, glücklicher fühle, dass ich tolerant bin und auch Kontakt mit Andersdenkenden habe, ich ein besseres Leben habe, dann scheint diese Ideologie wahrscheinlich gut für mich zu sein. Wenn man in eine solche Gemeinschaft kommt, findet genau dies aber meist nicht statt. Man selektiert, man vermeidet Widersprüche und kritische Kontakte und ich richte mich ein in eine Art Parallelwelt.